Im indischen Bodh Gaya fand Buddha zur Erkenntnis Unter dem heiligen Bodhi-Baum

Von Rainer Hörig

Bodh Gaya ist kein Touristenort - hier gibt es weder große Luxushotels noch prächtige Monumente. Dennoch wird der kleine Ort im ländlichen Bihar, einer der ärmsten Regionen Indiens, Jahr für Jahr von rund einer Million Menschen aus aller Welt besucht. Denn: Bodh Gaya ist eine der heiligsten Pilgerstädten des Buddhismus. Hier wurde der Wandermönch Siddhartha zum "Erwachten", zum ersten "Buddha". 
 


Der heilige Bodhi-Baum in Bodh Gaya
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Der heilige Bodhi-Baum in Bodh Gaya

Tsering Dolma ist nicht zum ersten Mal hier. Die stämmig gebaute Tibeterin, die einen traditionellen Rock und eine randlose Brille trägt, wird von ihrem Ehegatten begleitet und erklärt: "Wir kommen fast jedes Jahr hierher, besuchen den Tempel, bringen Opfer und wollen dabei ein wenig Frieden finden!" 

Bodh Gaya: Buddhistischer Pilgerort seit 2300 Jahren 

Steil ragt der mächtige Turm des Mahabodhi-Tempels über der Kleinstadt in die Höhe, seine 55 Meter hohe, vergoldete Spitze ist von überall zu sehen. Der mehr als einen Quadratkilometer große Park, der den Tempel umgibt, ist eine Oase des Friedens. Der Tempel beherbergt nur einen kleinen Gebetsraum, in dem eine vergoldete Buddha-Statue auf die Gläubigen herablächelt. Hunderte von Votivstupas, von Königen und wohlhabenden Verehrern gestiftet, schmücken den Park. Das eigentliche Heiligtum aber ist der Bodhi-Baum, eine knorrige Pappelfeige an der Rückseite des Tempels. Unter ihren ausladenden Ästen meditierte vor rund 2500 Jahren der Wandermönch Siddhartha, bis er eine Erleuchtung erfuhr und zum Buddha, dem Erwachten wurde. Der leitende Mönch Bhikku Chalinda, wohlgenährt und in gelbe Tücher gehüllt, skizziert die Geschichte des Heiligtums: "Der Buddha lebte hier im sechsten Jahrhundert vor Christus. Rund 300 Jahre später errichtete der Kaiser Ashoka den ersten Tempel und den Diamanten-Thron. Er ließ auch einen über zehn Meter hohen Stupa errichten. Später verewigten sich die Könige anderer Reiche mit dem Bauen weiterer Stupas. So wurde Bodh Gaya zum Wallfahrtsort. Seit 2300 Jahren kommen buddhistische Pilger nach Bodh Gaya." 

Bodhi-Baum ist ein Ableger in vierter Generation 


Die Tempelanlage in Bodh Gaya ist seit 2300 Jahren buddhistischer Pilgerort
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Die Tempelanlage in Bodh Gaya ist seit 2300 Jahren buddhistischer Pilgerort

Eine Steinplatte unter dem durch einen Steinzaun geschützten Bodhi-Baum wird als Diamantenthron verehrt. Sie markiert den Ort, an dem der Buddha im Jahr 528 v. Chr. die sogenannten "Vier Edlen Wahrheiten" erkannte. Die Besucher hoffen, dass die besondere Kraft, die diesem Ort offenbar innewohnt, sie segnen möge. Daher lassen Sie sich im Schatten des Bodhi-Baumes nieder, um zu beten und zu meditieren. Der ursprüngliche Baum, unter dem der Buddha saß, musste allerdings mehrmals durch Ableger anderer heiliger Bäume ersetzt werden, weil Unwetter, Krankheiten und Kriege das Heiligtum zerstörten. Nach Meinung von Bhikku Chalinda ist der heutige Bodhi-Baum ein Nachkomme der vierten Generation. 

Glaubensgemeinschaften aus vielen Ländern haben in Bodh Gaya Klöster und Tempel gebaut. Hier treffen sich Zen-Buddhisten aus japanischen Millionenstädten, Hirtennomaden aus der Weite des tibetischen Hochlandes, Bauern und Geschäftsleute von der Tropeninsel Sri Lanka, Mönche aus Laos, Kambodscha, Thailand. Immer mehr Gläubige reisen auch aus den westlichen Industrieländern an. Der polnische Therapeut Slawomir Latko etwa übt sich seit drei Monaten im Umgang mit Klangschalen und in der Zen-Meditation: "Wenn ich morgens aufwache, versuche ich mich zunächst an meine Träume zu erinnern. Nach dem Duschen besuche ich einen Park und wecke meinen Körper mit Chi-gung-Übungen: Strecken, Springen, Atemübungen. Dann ist es Zeit für ein Frühstück und einen Besuch des Tempels. Im Morgenlicht ist es dort besonders schön. Ich suche einen guten Platz und übe Za-Zen-Meditation. Die fällt mir nahe des Tempels sehr leicht, wahrscheinlich wegen der von vielen Menschen akkumulierten Energie. Später setze ich mich in meinen Lieblings-Teeladen und beobachte das Leben um mich herum. In der Mittagszeit treffe ich meinen Freund, den Lama, mache mit ihm ein paar Übungen."  

Pilger bringen Blumen als Geschenke mit  

Den ganzen Tag lang umrunden Pilger den Tempel auf einer Balustrade, unterhalten sich und murmeln Gebete. Tibeterinnen tragen Gebetstrommeln mit sich und halten sie unentwegt in Bewegung. Ein Mönch führt eine Gruppe von vielleicht vierzig, ganz in Weiß gekleideten Frauen aus Sri Lanka durch das Heiligtum. Unter ihnen ist die 24-jährige Pramisha Miriyagalla, die ihre Mutter auf einer dreiwöchigen Pilgerfahrt begleitet. Die Anreise mit Eisenbahn und Bus sei sehr anstrengend gewesen, sie seien sehr müde, aber glücklich, am Ziel zu sein, meint die junge Frau und ergänzt: "Wir wollen hier an diesem Ort, der uns sehr am Herzen liegt, unseren Herrn, den Buddha verehren. Wir machen ihm Blumen zum Geschenk, bringen ihm Sandelholz, Lotosblüten, Betelblätter." 


Im Gebetsraum lächelt eine vergoldete Buddha-Statue auf Gläubige herab
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Im Gebetsraum lächelt eine vergoldete Buddha-Statue auf Gläubige herab

Dann kramt Pramisha ein buntes Körbchen aus einer Plastiktüte und präsentiert es stolz. Aus bunten Papierschnipseln hat sie die Szene der Erleuchtung nachgebaut: den heiligen Bodhi-Baum, darunter den Diamanten-Thron, Öllampen und einen kleinen Fluss. Dieses besondere Geschenk wollen sie am Sims des Tempels abstellen und zum Buddha beten. Vielleicht werde der Allmächtige dann ihren Herzenswunsch erfüllen, hofft die junge Frau. 

Redaktion: Gerald Beyrodt


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Stand: 02.08.2015, 09.20 Uhr